Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

Thomas Mann hat rund vierzig Jahre Pause gebraucht, um seine so ganz und gar dem Schein verpflichtete Kunstfigur und ihren künstlerexistenzkritischen Lebensweg wenigstens zu einem „Ende des ersten Teils" zu bringen. Und es waren sicher nicht nur Altersgründe, warum es zum zweiten Teil nicht kam. Im Grunde musste dieser schicksalslose Wunschknabe Felix Krull – dessen Hochstapelei ja jenseits der Sprache eigentlich gar nicht stattfindet, in der Sprache dafür um so vollkommener – dem Sprachkünstler Mann auf die Nerven gehen. Wer parodiert oder überspielt sich schon gern selbst, wenn er sich seiner Kunst so sicher sein konnte wie er, der Autor Thomas Mann? Was in einem zweiten Teil der „Bekenntnisse" passiert wäre, läßt sich aus ein paar Andeutungen im ersten Teil, aus Manns Notizen sowie den als Anregung genommenen Memoiren des Hochstaplers und Trickbetrügers Mamulescu nur vage rekonstruieren.

Sicher wäre Felix die Konfrontation mit seinem erotischen Traum vom „berückend Menschlichen in beiderlei Gestalt" nicht erspart geblieben. Er wäre also vermutlich irgendwann mit dem Geschwisterpaar, das sich gleicht bis aufs Entscheidende (ein Teil ist Knabe, einer Mädchen), im Bett gelegen und hätte feststellen müssen, dass sich seine Ursehnsucht nach dem Androgynen nicht durch eine, wenn auch reizvolle „Ménage à trois" verwirklichen läßt. Und erspart wäre weder Mann noch Krull noch uns auch ein tristes Ende geblieben: Felix enttarnt, Felix im Gefängnis, für Stunden freigelassen, um ans Sterbebett seiner Frau zu eilen, einer traurigen Nymphomanin, die ihn nur geheiratet hatte, weil er eben über die Fähigkeit verfügte, sich ihr allabendlich in anderer Verkleidung zu nähern... Schließlich: Krull alternd, ein kleines, von Schimmelpreester ererbtes Vermögen aufzehrend, zurückblickend auf ein Leben ohne Liebe, ohne die Chance, sich zu verändern und damit erwachsen zu werden, ohne Leiden, ohne Schicksal. Ein leeres Leben, dessen einzige Lust und Leistung gewesen wäre, Wünsche zu wecken und manchmal auch zu erfüllen.

Also ist es angemessen, wenn Felix am Ende seiner fünften und letzten Episode – im Zustand des höchsten theoretischen Wissens und der tatsächlichen Ahnungslosigkeit über die Liebe – per Ballon aufsteigt und hinfährt, wo er hingehört: ins Reich der unlebbaren Sehnsüchte oder – um im Belle-Epoque-Kitsch zu bleiben – auf einen Berg Olymp, etwas abseits von Zeus und den Spitzengöttern. Gott Felix? Was sonst ist er denn? Halt nur das, was diejenigen aus ihm machen, denen er zu ihren eigenen Wünschen verholfen hat. Eine Projektions- und Traumfigur für allerlei erotische Phantasien, selbst ein Stück Phantasie, nur aus Sprache gebaut und nicht aus Fleisch und Blut.

Der Film macht ihn real, unverwechselbar konkret, macht ihn zwangsläufig zur Hauptfigur, obwohl er diese Rolle –schicksalslos, ungefährdet, wie er ist –gar nicht so recht auszufüllen vermag. Das Drehbuch schreibt ihm notwendiger-weise eine weitaus objektivere Existenz vor als der Roman. Aus einem Wunschkind, das sich jeder lesend nach seinen Vorstellungen zurechtdenken kann, musste eben eine konkrete Figur für alle werden: Felix ist der Schauspieler, der ihn spielt. Und nicht mehr ein kleiner Gott.

Dass wir als Drehbuchautoren einem menschlich gewordenen Felix auch ein „Ende der Geschichte" und damit ein, wenn auch genremäßig übersetztes Schicksal basteln wollten, liegt auf der Hand. Das hätte dann freilich nicht mehr viel mit Thomas Mann zu tun, sondern wäre allenfalls durch ein wenig Filmgeschichte abgesichert gewesen. Deshalb findet dieses Ende nicht statt, was wiederum auch auf der Hand liegt.

Viva Felix oder „Eine Fortsetzung, die nicht folgt“