Augenblick der Ewigkeit - Anmerkungen

Warum ich einen Roman geschrieben habe...


Es heißt, wenn Krebse ihrem Eimer zu entkommen suchen, sie von Ihren Artgenossen gepackt und daran gehindert werden. Warum? Das tun Krebse nun mal so. Manche sehen es eben nicht gerne, wenn man aus der Schublade, in die man nun einmal eingeordnet worden war, ausbricht und etwas anders unternimmt. Dabei war es pure Notwehr, warum ich aus einem Filmstoff einen Roman gemacht habe, statt umgekehrt.


Ursprünglich sollte ›Augenblick der Ewigkeit‹ das ergänzende Pendant zu meinem Film ›Väter und Söhne‹ werden – ging es dort um die ›Geschäfte und Moral‹, so hier um ›Künstler und Charakter‹ – jener zweite Teil der Deutschen Tragödie, die in den Kinderzimmern des Neunzehnten Jahrhunderts ihren Ursprung hatte und in den Katastrophen von Auschwitz und Stalingrad mündete. Nachdem es mir jedoch seit den 80er Jahren nicht gelungen war, den Stoff als Film zu finanzieren, habe ich ihn von da an als Roman behandelt, mehr als 1000 Seiten Material zusammengetragen, als „Testlauf“ zwei kleiner Romane geschrieben und vier Opern inszeniert.

Das lange Arbeiten an dem Stoff hat meine Sicht darauf verändert, so wie auch ich mich in diesen fast dreißig Jahren verändert habe. Dabei trat, anders als damals, die kritische Beschäftigung mit dem historischen Vorbild immer mehr in den Hintergrund. Die restriktive Sicht der Achtundsechziger, ihre moralische Geste, wurde mit den Jahren obsolet, und das erlaubte mir nunmehr den faszinierten und uneingeschränkten Blick auf die exemplarische Karriere eines kleinen Kapellmeisters zum international gefeierten Medienstar, in der sich das vergangene Jahrhundert mit all seinen politischen Verwerfungen und technischen Entwicklungen widerspiegeln konnte.


... und warum ich keinen Karajan-Roman geschrieben habe.


›Augenblick der Ewigkeit‹ ist ein Roman über den schillernden Charakter des Dirigenten Karl Amadeus Herzog, der so unmoralisch ist wie genial, der angefeindet und gleichzeitig von einer Millionengemeinde verehrt wird, die ihm ergeben zu Füßen liegt. Ob seiner Macht gehaßt und seiner Skrupellosigkeit verachtet, wird er wegen seiner Kunst geliebt. Er versteht es, Menschen zu bezaubern und zu faszinieren und seine Orchester zu Höchstleistungen anzuspornen. Am Ende seines Lebens steht er vor der ebenso berauschenden wie ernüchternden Möglichkeit der eigenen medialen Reproduzierbarkeit und glaubt damit seine größte narzißtische Kränkung, den eigenen Tod, schon zu Lebzeiten überwinden zu können, indem er keine neuen Schallplatten mehr aufnimmt, sondern nur noch sich selber und sein eigenes Dirigat, um, wenn es technisch einmal möglich ist, vor spätere Musikergenerationen hinzutreten und ihnen bis in alle Ewigkeit seine Auffassung von symphonischer Musik zu demonstrieren.


Zugegeben, ohne die exemplarische Karriere Herbert von Karajans, diesem Jahrhundertdirigenten, Klangmagier, und Hohenpriester der Musik, wie die Medien schwärmen, wäre dieser ›Roman einer Karriere‹ nicht entstanden – und trotzdem ist ›Augenblick der Ewigkeit‹ kein Roman über Karajan, kein Enthüllungsdrama oder Schlüsselroman in der Art ›Mephisto‹, wie ihn Klaus Mann über den großartigen Schauspieler Gustav Gründgens geschrieben hat. Er enthält weder Demaskierung noch Skandal, und schon keine persönlichen Abrechnung, die nur hinter einem Schleier von Dichtung und Wahrheit behauptet oder veröffentlicht werden könnte.


›Augenblick der Ewigkeit‹ ist das fiktionale Portrait Karl Amadeus Herzogs und kein biographisches Abbild einer real existierenden Person der Zeitgeschichte. Beider Lebensläufe, der des Protagonisten des Romans und der seines latent existierenden Modells sind jedoch so eingebettet in die Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts, daß sie sich zwangsläufig hin und wieder kreuzen und eine Zeitlang sogar parallel verlaufen. So legen beide den Grundstein ihrer Karrieren in der Provinz, müssen wie so mancher unbekannte Künstler im Dritten Reich durch das scheinbar unvermeidbare Nadelöhr der Parteizugehörigkeit und werden nach dem Krieg, infolge eines Auftrittsverbots mit ihren Schallplattenaufnahmen weltberühmt – bis schließlich der eine, Karajan, als Chefdirigent die Berliner Philharmonikern auf Lebenszeit übernimmt, während sich der andere, Herzog, in seine Filmstudios zurückzieht um sich ganz den Geschäften seiner Unsterblichkeit zu widmen.


So sehr sich ihr äußerer Werdegang auch ähneln mag, so grundverschieden sind ihr individuelles Schicksal und ihre innere Motivationen: Während der eine wohlbehütet und privilegiert in einem großbürgerlichen Elternhaus in Salzburg aufwächst, zieht der Protagonist dieses Romans mit seinem Vater, ähnlich wie Fritz Busch, als Musikant über die Dörfer um bei Bauernhochzeiten aufzuspielen. Dabei wird er mitschuldig an dem tödlichen Unfall seines Vaters, ein Trauma, das seine ganze Wesensart, seinen Charakter und damit seinen weiteren Lebensweg bestimmt.


In jenem traumatischen Erlebnis meines Helden liegt der eigentliche Grund, warum ich keinen Roman über Karajan schreiben konnte, da ich über dessen innere Motivationen, die ich nicht kenne, allenfalls spekulieren müßte. Denn dort, wo im Zusammenhang mit historischen Figuren Liebe und Leidenschaft, Neid und Mißgunst, Glück und Verzweiflung, Schuld und Sühne ins Spiel kommen, und die Helden menschlichen Schwächen unterworfen sind, kann nur die romanhafte Fiktion das Korsett des Biographen sprengen, und jenes Vexierspiel beginnen, in dem die Phantasie ihre eigenen Geschöpfe und Schicksale erschafft.


So unterschiedlich also die Charaktere Karajans und Herzogs sein mögen, so teilen sie jedoch das faszinierende Geheimnis des kollektiven Mythos ihres Berufsstandes, in dem Aufführung von Musik zur Ausübung von Macht wird, mit der es gelingt Hunderte von individuellen Künstlern zu einem einzigen Instrument zu formen, auf dem der Maestro virtuos zu spielen weiß, ohne einen einzigen Ton selbst zu erzeugen, aber allen Ruhm auf sich vereint – egal wie sie alle hießen, Toscanini, Furtwängler, Bernstein, Abbado, Solti, Karajan, und last but not least Karl Amadeus Herzog, der es vielleicht am Geschicktesten von allen anstellt. Denn mit halbem Herzen tut er nichts. Alles an ihm ist extrem: Die Armut seiner Jugend, der spätere Reichtum, die Liebe und der Hass, der Ehrgeiz und die Macht. Vor allem letzteres. Am Ende hat er alles erreicht, bis die ›Unsterblichkeit vom Tode ihn erlöste.‹

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